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Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen

STADTEINGÄNGE

Internationale
Frühjahrsakademie
Ruhr 2022

Digitaler Einblick

"Der typische (bretonische) Ort verfügt heute über ein Standardinventar: Kulturhaus, Mehrzwecksaal, ein für einen Sammelband über Bausünden der Moderne geeignetes Rathaus, eine postmoderne und möglichst wenig mit dem Straßenbild harmonisierende Mediathek, ein Altersheim, eine Mülldeponie, ein Bürgerhaus, eine Sparkasse, eine Sporthalle. Natürlich weisen an jeder Kreuzung Schilder auf diese Errungenschaften hin. Schon am Ortseingang befindet sich ein Kreisverkehr, von dem aus man überall hin abbiegen kann. In der Mitte des Verkehrsinselchens steht ein Kunstobjekt aus den typischen Materialien der Region oder aus dem Schrott der letzten Unfälle. Umgeben werden die Orte von einer relativ neuen und ziemlich kahlen Einfamilienhauszone, durch die man zum äußeren Ring gelangt, der von schuhkartonartigen Großmärkten dominiert wird." Jochen Schmidt, Gebrauchsanweisung für die Bretagne

Nein! Nein, nein, hier geht es natürlich nicht um Dortmund, unseren Untersuchungsgegenstand, den Ort des Geschehens, den Ort der Analyse und der Intervention. Mit mehr als nur einem Indiz lässt sich dieses mögliche Missverständnis jederzeit sofort ausräumen.

Das Rathaus ist nicht der Moderne zuzuordnen, vielleicht finden einige kritische Rezipienten postmoderne Anklänge. Die Mediathek – in Dortmund noch Bibliothek genannt - ist von Mario Botta entworfen und artikuliert einen wichtigen Eingangsort für die innere Stadt, den Bahnhofs(vor)platz und ist wichtiger Baustein in der dortigen übergeordneten Raumstruktur, eher harmonisierend eingebettet statt möglichst wenig kontextualisiert.

Sporthallen gibt es mehrere und eines der größten und attraktivsten Stadien überdies. Auch die neue Einfamilienhauszone ist nicht ringförmig geschlossen, sondern der Historie der Stadt folgend an dem einen oder anderen Ortsteil, mal ringähnlich, mal regelmäßig sequenziert oder chaotisch zersprengt, jedenfalls dezentral angeordnet. Die Logik der Ansiedlungen von schuhkartonähnlichen Großmärkten – und analogen Baustrukturen für Handel und Gewerbe – folgt ebenfalls nicht dem Ringprinzip sondern ist verteilt über die jeweiligen Ortsteile mehr oder minder groß anzutreffen. Besser ?

Ganz unzweifelhaft ist Dortmund Stadt und nicht Ort, ist nicht bretonisch sondern nordrhein-westfälisch und in der Ruhrregion, der zuweilen als „Metropole Ruhr“ oder als „Großstadt Ruhrgebiet“ bezeichneten Stadt-Folge ein wichtiger, nach Osten eröffnender Baustein mit eigener Identität, eigener Wirksamkeit, eigener Kontur und Lesbarkeit.

Kreisverkehre mit Schildersammlungen braucht Dortmund nicht, um Kontur, um Grenzen und Durchgänge, Eingänge zu markieren. Vereinzelte Beispiele entlang mancher Bundesstraße mögen als Ausnahmen anzutreffen sein, für DIE Bundesstraße durch die Metropole Ruhr, die B1, ist eine eigene, charakteristische stadtbauliche und architektonische Lösung gefunden. Ein Brückenpylon, rot gefärbt, sowie zwei etwas höhere Häuser unterschiedlicher Bauzeiten und unterschiedlicher Zustände „markieren“ den westlichen Eingang entlang der B1. Gut?

Jedoch: Ist dieser kritisch-ironische Zugang zum Eingang, diese Idee markierter Eingänge in eine spezifische, mit einer Identität aus Topgraphie und Bewohnern, aus Material und Bauten, aus Straßen, Wegen und Plätzen geformten Stadt richtig? Ist diese Idee möglicherweise aus anderen Zeiten überkommen und gegenwärtig sowie zukünftig nicht nur als überkommen und gestrig sondern gar als falsch zu bezeichnen? Sind Bildzeugnisse, die auf die Abgrenzung und die nur lokal spezifische Zugangs- somit Eingangsmöglichkeit verweisen im Wortsinne unzeitgemäß?

Ein klares Ja!

"Der Wanderer ist glücklich inmitten der Landschaft, weil er hinter dem Horizont die Stadt weiß!" L. Snozzi, Aphorismen zur Architektur

Noch weit nach Ende des Mittelalters, der jüngsten Zeit wehrhafter Ummauerungen von Städten mit Schießscharten und Pechnasen sowie den bewachten Durchgängen, der Stadttore, beschreibt auch Luigi Snozzi mit diesem Aphorismus ein Wesensmerkmal der Stadt, genauer den Gegensatz von Stadt und Land(schaft), Stadt und Umgebung, die Polarität von Natur und Zivilisation, Gefahr und Schutz, hygienischen Errungenschaften versus einfacher Lebensbedingungen. Soweit für Snozzi sicher nicht mehr diese gegensätzlichen Grund-Bedingungen des alltäglichen Lebens im Zentrum seiner Äußerung stehen, das Gegensätzliche, das von einander zu Unterscheidende, das möglicherweise voneinander Abzugrenzende ist jedoch Kern dieses Satzes.

Ein klares Ja? Eine differenzierte Betrachtung mag vorschnellem Urteil entgegenstehen.

Gegenwärtig, auch zukünftig sollten die Unterschiede  bezüglich  der Grundbedürfnisse hinsichtlich Gefahr und Schutz, Hygiene bzw. umfassenderem, weiterem technischen Fortschritt versus einfacheren Bedingungen keine Rolle mehr spielen, sollte ein diesbezüglicher Grund für die Abgrenzung von Stadt und Land, von Stadt und Umgebung als überkommen gelten dürfen. Die relevante Differenz des Städtischen zum Ländlichen in den  unter-schiedlichen  Bedingungen  auszuloten  und vor dem Hintergrund nachhaltig zu sichernder Lebensbedingungen zu definieren und die Planung von Stadt und Land anzupassen ist jedoch ein notwendiges Ziel unserer Profession.

Können beispielsweise Fragestellungen zu Verkehr und Umweltbelastung unter diesem Brennglas mit einem „Stadteingang“ mit beantwortet werden, sind Umsteigestationen zwischen den differenten Bedingungen, den auf Fernverkehr ausgelegten Systemen und dem Rad-, Fuß- oder öffentlichen Personennahverkehr an spezifischen Orten der Grenzen von Stadt und Umgebung neue Aufgaben für Stadtplaner/innen und Architekt/innen?

Sind damit verbundene Möglichkeiten einer dichteren Stadt, mit einer sich daraus logisch, fast zwangsläufig ergebenen Kontur statt einer additiven funktionslosen (Bau)Form als Grenzbauwerk zum umgebenden Raum denkbar, planbar, zum Entwurf herausgefordert?

Auch bietet die kritische Würdigung der Flächenbedarfe von dichter Bebauung, i. d. R. mehrere Wohnungen oder auch mehrere Funktionen beinhaltender Häuser im Verhältnis zu den Einfamilienhauszonen ebenfalls den sinnfälligen Antrieb zur Planung von Stadt und ihrer Bauten, ihrer Straßen, Wege und Plätze und den diese definierenden Häusern bis zu einer sichtbaren, einer spürbaren Grenze ohne dass notwendigerweise ein Bauwerk mit seinen Toranlagen den Eingang zur Stadt markieren muss.

Die Orientierung, ergo die Lesbarkeit von Stadt und Land und ihrer jeweiligen Bilder sollte in diese Betrachtungen unabdingbar eingeschlossen sein. Das Verhältnis von Stadt-Rand und Landschaft ist hier gleichermaßen relevant wie das Verhältnis von Stadt-Rand und Stadt-Zentrum. Dies ist eine notwendige Komponente, kann in ringförmigen Schichten oder entlang geführter, visuell geleiteter  Routen gemeinsam mit der Ausbildung einer städtischen Ikonographie erarbeitet werden - und soll, MUSS die gebräuchlichen Hilfssysteme von Schildern oder navigationsfähigen Smart-Phones oder Smart-Cars ebenso überflüssig machen wie die einzelnen Orte innerhalb der Stadt mit Identität und Qualität ausstatten. Diese Stadt kann bis zu ihren Rändern formuliert werden und kann daraus unter Umständen aus dieser inneren Logik inhärente Baulichkeit für Innen und Außen, für Eingang, für Stadt-Eingang formulieren.

"Wenn in der Stadt die Verkehrsschilder überflüssig werden, bist du der Lösung nahe!" L. Snozzi, Aphorismen zur Architektur

Die Konkretisierung dieser allgemeingültigen Aufgabenstellung führen wir für die Stadt Dortmund, an der Bundestraße 1, am westlichen Eingangsbereich zur Stadt durch.

Nachdem in den vorangegangenen Frühjahrsakademien die Themen “Die B1“, “Der Wall“, “Der Hellweg“, “Stadtplätze“, “Nordstadt Modelle“ und „Stadt-Brachen“ sowie „Nachverdichtung“ und die Transformation eines Industrieareals in der inneren Stadt, der „Konversion“ und im neunten Durchgang am Standort „Scharnhorst-Ost“ die Frage nach „Großsiedlungen“ als Teil der Stadt oder externen Satelliten Gegenstand städtebaulicher-architektonischer Untersuchungen und jeweils im Workshop für die Interventionen waren, widmet sich dieser 10. Durchgang einerseits stadtikonografischen Fragestellungen Dortmunds als eigenständiger Bestandteil der Metropole Ruhr und andererseits stadtorganisatorischen Fragestellungen und damit zwingend auch Fragestellungen von Nachhaltigkeit von Verkehr, von Klima- und Lüftungsbedingungen Dortmunds als typischem Untersuchungsobjekt der wie an der Perlenschnur aufgefädelten Großstädte im Ruhr-Revier.

Aufbauend auf der analytischen Betrachtung des Untersuchungsgebietes, welches das eigentliche Planungsgebiet umgibt, gilt es im Rahmen der Internationalen Frühjahrsakademie 2022 auf diese allgemeingültig formulierten Fragen konkrete Antworten für die „Stadteingänge“ Dortmunds zu finden und in angemessener städtebaulicher und architektonischer Weise zu reagieren.

Die spezifische Lage mit dem Areal um die Schnettkerbrücke und den Taleinschnitt Wiesengrund, die dortigen Verkehrswege unterschiedlicher Verkehrsträger, Dimensionen und Höhenlagen und nicht zuletzt der TU Dortmund in Sichtweite ermöglichen unterschiedliche Herangehensweisen, städtischen Anschluss und landschaftlichen Kontakt zu entwickeln, Stadteingänge zu denken, zu entwerfen und in der Jubiläumsveranstaltung 2022 bearbeiten zu dürfen.

Herausgeber

Technische Universität Dortmund
Fakultät Architektur und Bauingenieurwesen
Lehrgebiet Internationale Frühjahrsakademie
Prof. Olaf Schmidt I Prof. Michael Schwarz

In Zusammenarbeit mit

TU Eindhoven
Department of the Built Environment
Architectural Urban Design and Engineering
Rational Architecture
Prof. Christian Rapp

Università degli Studi di Napoli Federico II
Dipartimento di Architettura
Prof. Federica Visconti I Prof. Renato Capozzi

Druck
Druckverlag Kettler GmbH, August 2022
Cover der Internationalen Frühjahrsakademie Ruhr 2022 - Stadteingänge